Page 10 - Limmattaler Woche - KW 16 - 2021
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                                                             Mit dem Kater zu Berg




         Es war einmal… – Rotwein                                           bert Frederick Mummery (1855  Es endete mit dem Wettbewerb,  nacht durchgefeiert, Tagwache
         und Champagner statt Tee                                           – 1895) und William Augus-        wer die leeren Weinflaschen  war dann erst um 11 Uhr – mit
         und Isostar für die Pioniere                                       tus Brevoort Coolidge (1850 –  am weitesten in die Tiefe wer-      brummendem Schädel, versteht
         des Alpinismus, pfeifenrau-                                        1926) waren ziemlich trinkfest.  fen konnte. Trotz diesem Ge-      sich.
         chende  Bergführer  in  Fels-                                      Champagner und Wein stan-         lage erreichten die Engländer
         wänden und Bergsteiger mit                                         den auf ihren Touren höher im  am anderen Tag um 9 Uhr den  Mein prägendstes Erlebnis eines
         einem Stumpen im Gesicht in                                        Kurs als Wasser oder Tee. Und  Gipfel, der übergewichtige Al-      Alkoholexzesses in den Bergen
         überfüllten SAC-Hütten – dies                                      die berühmten Bergführer aus  bert Smith als Letzter allerdings  war vor über 40 Jahren in der
         sind Bilder aus längst vergan-                                     jener goldenen Zeit der  Erst-    mehr tot als lebendig…           Glärnischhütte – allerdings und
         genen Zeiten.                                                      besteigungen waren vielfach                                        zum Glück nicht als aktiv Be-
                                                                            pfeifenrauchend in den steilen           Feucht-fröhliche          teiligter, sondern nur als Zu-
         Bergsport, Tabakgenuss und Al-                                     Felswänden unterwegs – denn           Jugenderinnerungen           schauer.  Ich wollte mit  einem
         koholexzesse, das passt heute                                      das strahlte Sicherheit und  In der heutigen Zeit sind solche  Kollegen den Glärnisch bestei-
         nicht mehr zusammen. Ein                                           Vertrauen aus.                    hochalpinen Gelage kaum noch  gen und wir übernachteten in
         Glas Rotwein am Vorabend in                                                                          denkbar. Aber in den vielen  der Glärnischhütte – zusam-
         der Berghütte, und am Tag da-                                      Bekanntestes Beispiel eines Al-   Bergrestaurants und Alphütten  men mit ein paar Festbrüdern
         nach ein Gipfeltrunk in Ehren;                                     koholexzesses in den Alpen ist  geht auch heutzutage, allerdings  aus Zürich. Nach dem Nachtes-
         wesentlich mehr liegt heute, in                                    wohl die Montblanc-Besteigung  noch vor den Corona bedingten  sen war der Teufel los, und un-
         einer Zeit, wo Rekorde gefragt                            Bild: pixabay  des damals 35-jährigen engli-  Einschränkungen, immer wie-   vergesslich war der Moment, als
         sind und alles «gesund» und  Auf Bergwanderungen sind heutzu-      schen Buchautors und Jour-        der die Post ab. Ein Beispiel ist  einer der Saufkumpanen eine
         nachhaltig sein muss, schlicht-   tage Sportlernahrung und isotoni-  nalisten Albert Smith im Som-   das im Jahre 2000 leider abge-   Flasche Rotwein in seinen Berg-
         weg nicht mehr drin. Es hat kei-  sche Getränke «in».              mer 1851. Insgesamt umfasste  brannte gemütliche Restaurant  schuh schüttete und dann den
         nen Platz für Getränke und Nah-                                    die  fröhliche  Truppe  vier  Bri-  auf dem Wildspitz (1580 m),  ganzen Inhalt unter dem Ge-
         rungsmittel, die nicht grün sind,  waren grosse Expeditionen an  ten, 16 Bergführer und 20 Trä-      dem höchsten Berg des Kantons  johle seiner Kollegen leerte,
         sondern dunkelrot auf der Am-     den Bergen unterwegs, vielfach  ger für den Transport der Vor-     Zug. Da wurde geraucht und ge-   bis zum letzten Tropfen, Fuss-
         pel aufleuchten. Sportlernah-     betuchte Engländer mit mehre-    räte. Dazu gehörten  unter  an-   zecht, was das Zeug hielt. Le-   Schweiss inklusive. Am nächs-
         rung und isotonische Getränke  ren Bergführern und Trägern.  derem 60 Flaschen Tischwein,  gendär waren die Krummen, die  ten Tag bestiegen wir den Glär-
         sind «in», die rasch und ohne  Neben der sportlichen Leis-         sechs Flaschen Bordeaux, 10  zu jeder Wildpitzbesteigung ge-       nisch, und als wir am frühen
         weitere Zubereitung jederzeit  tung nahmen offenbar auch  Flaschen Saint-Georges, 15 Fla-            hörten, und natürlich der Kaf-   Nachmittag wieder zurückkehr-
         auf der Tour konsumiert wer-      das leibliche Wohl und der  schen Saint-Jean sowie zwei  fee  Schnaps,  meistens  gleich  ten, fanden wir ein paar bleiche
         den können.                       Genuss einen hohen Stellen-      Flaschen Champagner und drei  mehrere. So hat manch einer  Alkoholleichen auf der Hütten-
                                           wert ein. Die Pioniere des Al-   Flaschen Cognac. Die 40-köp-      zu  später  Nachtstunde  nach  terrasse. Fazit: Wie sagte doch
                 Alkoholexzesse            pinismus wie Edward Whym-        fige Expeditionsgruppe schlug  reichlichem Alkoholgenuss den  schon Paracelsus (1493 – 1541):
               im 19. Jahrhundert          per (1840 – 1911), der Erstbe-   ihr Nachtlager auf halbem Weg  bei Wind und Wetter nicht ganz  Die Menge macht das Gift.
         Ganz anders in den goldenen  steiger des Matterhorns und am  zum Montblanc im Bereich der  ungefährlichen  Abstieg kaum
         Zeiten der Erstbesteigungen  Ende seines Lebens vereinsamt  Grands  Mulets auf, wo  sie  ein  mehr gefunden. Einmal haben
         der wichtigsten Alpengipfel. Da  und dem Alkohol verfallen, Al-    üppiges  Bankett  veranstaltete.  auch wir bis weit nach Mitter-                     Ruedi Horber



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