Page 5 - Bülacher Woche - KW 20 - 2021
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DIENSTAG, 18. MAI 2021 SEITE 5
«Ältere Menschen werden geschätzt»
Seniorinnen und Senioren sind im Durchschnitt noch nie so stützung bei der Betreuung zu
gesund wie heute. Zudem nehmen ältere Menschen eine zent- Hause passieren. EL-Bezie-
rale Funktion in unserer Gesellschaft wahr. Dies erlebt Alain hende im Heim beziehen rund
Huber, Direktor Pro Senectute Schweiz tagtäglich bei seiner dreimal höhere EL als diejeni-
Arbeit. Hier spricht er über Altersarmut, die Reformen in den gen zu Hause. Dies überrascht
Sozialwerken sowie den Zusammenhalt und die Solidarität al- angesichts der durchschnittli-
ler Generationen, die durch die Pandemie eine neue Bedeu- chen Heimkosten von jährlich
tung erhalten hat. 72'000 Franken wenig, zeigt
aber, wie wichtig es ist, die EL
Pro Senectute ist die bedeu- Zusammenhalt und die Soli- genau an diesem Punkt durch
tendste Dienstleistungsorgani- darität aller Generationen, um die gezielte finanzielle Unter-
sation für Altersfragen in der auch in schwierigen Zeiten als stützung von Betreuungsleis-
Schweiz. Wie geht es den älte- Gesellschaft zu funktionieren. tungen zu Hause zu entlasten.
ren Menschen in der Schweiz? Ältere Menschen nehmen da-
Alain Huber: Grundsätzlich bei zentrale Funktionen wahr: Was wünschen Sie sich für Pro
gut. Heute sprechen wir von Sie hüten Grosskinder, be- Senectute wie auch für die äl-
Generationen im Pensionsalter, treuen ihre Nächsten beim Äl- tere Bevölkerung für die Zu-
die grossmehrheitlich finan- terwerden und sind sehr häufig Bilder: zVg kunft?
ziell gut dastehen. Dabei dürfen ehrenamtlich in Milizämtern, 96 Prozent der Seniorinnen und Senioren leben heute in den eigenen vier Wän- Wir wünschen uns, dass Men-
wir aber nicht vergessen, dass Vereinen oder Organisationen den. Dabei ist die Pro Senectute eine wichtige Anlaufstelle bei Alltagsfragen. schen in der Schweiz bis ins
nach wie vor jede achte Person tätig. So darf auch Pro Senec- höchste Alter als mitgestal-
unter Altersarmut leidet. Sprich tute auf mehr als 18'400 vor- digitalen Veränderungen genü- in der Minderheit und vorwie- tende und wertgeschätzte Mit-
in der Schweiz leben zwischen wiegend ältere Menschen zäh- gend Zeit und alternative Ange- gend über 80 Jahre alt. Die Ge- glieder der Gesellschaft leben
200'000 und 300'000 Menschen len, die unsere Dienstleistungen bote für die Übergangsphase zur neration 65+ zeigt klar Gefallen können, frei von Ausgrenzung
im Pensionsalter, die arm sind. als Freiwillige erst möglich ma- Verfügung stehen. Wir stellen an der digitalen Welt. Das geht und Armut im Alter. Wir wün-
Gesundheitlich gesehen wa- chen. Doch diesem Zusammen- mit Bedauern fest, dass für Se- aus der Studie «Digitale Senio- schen uns, dass die ältere Be-
ren die Seniorinnen und Senio- spiel der Generationen muss niorinnen und Senioren mit den ren 2020» von Pro Senectute völkerung ihr Leben in Würde
ren im Durchschnitt noch nie Sorge getragen und Wertschät- sich ändernden alltäglichen Tä- Schweiz hervor. geniessen können und auf indi-
so gesund wie heute. Menschen tigkeiten wie Posteinzahlungen viduelle Unterstützung zählen
im Pensionsalter können sich oder Geldabheben soziale Kon- Ein Achtel der älteren Bevölke- können, um möglichst autonom
heute auf rund zehn gesunde takte verloren gegangen sind. rung in der Schweiz ist von Ar- in ihrem Zuhause alt werden
Jahre mehr freuen, als noch vor Wir bieten daher viele alterna- mut betroffen. Ist die Sensibi- zu können. Dafür machen wir
30 Jahren. tive Möglichkeiten, um soziale lisierung für Altersarmut noch uns mit 1800 Mitarbeitenden
Kontakte zu pflegen, wie Frei- zu gering und was kann diesbe- und über 18'400 Freiwilligen in
Die Pandemie war und ist eine zeitangebote, Besuchsdienste züglich Gesellschaft und Politik unserer täglichen Arbeit in al-
grosse Herausforderung ge- und Freiwilligenarbeit. tun? len Landesteilen stark (siehe
rade für ältere Menschen. Was Armut im Alter ist noch immer Kasten).
macht den Seniorinnen und Laut der Studie «Digitale Se- weit verbreitet, denn in kei-
Senioren zurzeit am meisten nioren 2020» kann die Mehr- ner Altersgruppe sind die Ver- Interview:
Sorge? heit der Seniorinnen und Senio- mögen und Einkommen so un- Corinne Remund
Mehrere Themen: Ein zentrales ren heute mit digitalen Kommu- gleich verteilt, wie bei den über
Thema ist die Betreuung und nikationstechnologien umge- 60-Jährigen. Noch immer ist
Pflege im Alter. 96 Prozent der hen. Wie digital sind die älteren jede achte Person im Pensions-
Seniorinnen und Senioren le- Menschen im Alltag wirklich? alter auf Ergänzungsleistungen
ben heute in den eigenen vier Die Zahlen sind erfreulich und (EL) angewiesen, um die mini- Pro Senectute
Wänden. Oft braucht es Unter- die Entwicklung digitaler Kom- malen Lebenskosten zu decken. Kanton Zürich
stützung von Dritten, damit dies petenzen wurde aufgrund der Das zeigt, dass die AHV ihren
bis ins hohe Alter möglich ist. Corona-Pandemie sicherlich verfassungsmässigen Auftrag Die 24 kantonalen und
Den Löwenanteil dieser Aufga- Alain Huber, Direktor Pro Senec- beflügelt, um trotz physischer der Existenzsicherung im Al- interkantonalen Pro Senec-
ben übernehmen nach wie vor tute Schweiz: «Wir wünschen uns, Distanz mit seinen Nächsten in ter nicht erfüllt und die Reform tute Organisationen stehen
die Familie und Verwandte. Mit dass Menschen in der Schweiz bis Kontakt bleiben zu können. In der ersten Säule mit Tempo auf der älteren Bevölkerung
zunehmendem Alter wandeln ins höchste Alter als mitgestaltende Zahlen gesprochen waren per Kurs gebracht werden muss. und deren Angehörigen
sich jedoch die Bedürfnisse äl- und wertgeschätzte Mitglieder der Ende 2019 74 Prozent der Se- Doch auch bei der beruflichen mit 130 Beratungsstellen
terer Menschen, was zu einem Gesellschaft leben können.» niorinnen und Senioren online Vorsorge herrscht akuter Re- in der ganzen Schweiz zur
Kraftakt für das freiwillige Netz unterwegs. Jungseniorinnen formbedarf. Es ist wichtig, dass Seite. Die Geschäftsstelle
der Helfenden wird. Es braucht zung entgegengebracht wer- und -senioren können mittler- die Politik massvolle und für Ihres Wohnkantons steht
gute, professionelle und vor al- den. Jetzt, nach einem intensi- weile im Umgang mit digitalen alle zumutbare Reform-Pakete Ihnen mit Beratungen, In-
lem finanzierbare Dienstleis- ven Jahr, müssen wir beweisen, Kommunikationstechnologien schnürt, die vor dem Volk be- formationen und Dienst-
tungen, um die ältere Bevölke- dass dieser Zusammenhalt über sogar mit der jüngeren Bevölke- stehen können. Doch auch die leistungen zur Seite:
rung zielgerichtet dort zu unter- eine längere Zeit spielt. Ich bin rung mithalten. Der Anteil der per Anfang 2021 umgesetzte
stützen, wo der Erhalt der Selb- zuversichtlich, dass uns dies ge- «Online-Senioren» hat sich seit EL-Reform braucht einen weite- Pro Senectute Kanton Zürich
ständigkeit und Autonomie im lingen wird. 2010 fast verdoppelt, zwei Drit- ren Schritt, damit diese langfris- Forchstrasse 145
eigenen Zuhause gefördert wer- tel besitzen Tablets oder Smart- tig finanziell stabilisiert werden 8032 Zürich
den kann. Zudem gilt es, die Al- Ein grosses Thema für uns alle phones. Die mobile Nutzung kann, ohne die Menschen im Al-
tersvorsorge der erwarteten de- im Alltag ist die Digitalisierung, des Internets ist seit 2015 um ter zu bestrafen. Das kann mit Tel. 058 451 51 00
mografischen Entwicklung an- die durch Corona nun noch be- mehr als das Doppelte gestie- einer Entlastung bei den Heim- info@pszh.ch
zupassen und das heutige Ren- schleunigt wurde. Was sind die gen. Ältere Menschen, die off- kosten und einer Verlagerung www.pszh.ch
tenniveau der AHV abzusichern grössten digitalen Herausfor- line unterwegs sind, sind heute hin zu einer besseren Unter-
und die Weichen der Berufli- derungen für die ältere Bevöl-
chen Vorsorge neu zu stellen, kerung?
um gerade den jungen Men- Wir beobachten die digitalen Über 100 Jahre Pro Senectute
schen eine Perspektive auf eine Veränderungen genau und sind
finanziell gesicherte Altersvor- immer aktiv, wenn sie sich für Am 23. Oktober 1917 gründen zehn Männer unter dem Patronat der Schweizerischen Gemein-
sorge zu geben. Seniorinnen und Senioren als nützigen Gesellschaft die Stiftung «Für das Alter». Gemeinsam wollen sie die Lage der überwie-
unzumutbar erweisen. Denn gend bedürftigen älteren Menschen in der Schweiz verbessern, was auch heute noch in der Vision
Wie hat sich aufgrund der Pan- Pro Senectute ist da, um die äl- der Organisation grossgeschrieben ist. Dazu gehörte schon bald die Forderung nach einer staat-
demie die Solidarität zwischen tere Bevölkerung zu befähigen, lichen Altersvorsorge, was das Volk 1925 an der Urne ebenfalls wünschte. Es verstrichen einige
den Generationen und den älte- an der immer digitaleren Gesell- Jahre, bis 1947 das Bundesgesetz zur AHV vom Schweizer Stimmvolk bestätigt wurde. Doch die
ren Menschen verändert? schaft teilzunehmen. Meldun- ersten Renten waren bescheiden und genügten selten, um den Lebensunterhalt zu decken. Viele
Die Erfahrungen des letzten gen über schliessende Bankfilia- Seniorinnen und Senioren waren weiterhin auf unsere Unterstützung angewiesen. Pro Senec-
Jahres zeigen, dass die Solida- len oder QR-Code-Einzahlungs- tute setzte sich nebst der Armutsbekämpfung für ein vielseitiges Leben in Würde ein, wofür 1950
rität in der Schweiz gross ist, scheine bereiten den Menschen ein schweizweites, niederschwelliges Kursprogramm für die ältere Bevölkerung etabliert werden
wenn wir in einer Notsituation oft Sorge. Hier ist es an uns zu konnte. Mit der Einführung der beruflichen Vorsorge, der zweiten Säule der staatlichen Altersvor-
sind. Ältere Menschen werden informieren und bei den neuen sorge, war ein weiterer wichtiger Schritt in der Bekämpfung der Altersarmut gemacht, für wel-
geschätzt. Sie sind ein wichti- Abläufen zu unterstützen. Wir chen sich Pro Senectute stark machte – und es noch immer tut, stehen doch wichtige Reformen
ger Teil des gesellschaftlichen setzen uns aber immer dafür in diesen Sozialwerken an.
Miteinanders. Es braucht den ein, dass älteren Menschen bei